Leben und Werk von Nikolaus Reinartz, Pfarrer und Heimatforscher - Ein Projekt von nikola-reinartz.de und nikolaus-reinartz.de - eMail: hkbergheim@gmx.de





Das Ende
Von Pfarrer Nikola Reinartz † 4.8.54

1. Das Vorrücken der Front und die Bombenangriffe - Dezember 1944 bis März 1945.

Das Ende kam für uns am 6. März, einem Dienstag, wo gegen 10 Uhr die ersten amerikanischen lang ersehnten Panzer von Antweiler her am Oberdorf einrollten, geführt von W.B. (woengede: Wilhelm Benden) der ihnen mit weißer Flagge entgegengegangen war, und von der Bevölkerung mit Händewinken begrüßt wurde.

Die Tage und Wochen vorher waren aufregend gewesen. Am letzten Tag des alten Jahres war Haus Broich zerstört worden, wobei es 7 Tote gab, glücklicherweise aber die Erzdiözesan-Bibliothek, die aus dem zerstörten Saale in ein erhalten gebliebenes Nebenzimmer gebracht worden war, unbeschädigt blieb. Am 13. Januar wurde das Kirchendach und die Abschlußmauer des Chores von Tieffliegern an zahlreichen Stellen durchschossen. Trotz aller Bemühungen gelang es nicht, eine fachgemäße Instandsetzung zu erreichen, so daß schließlich der Regen bereits durch die aufgeweichte Decke des Kirchenschiffes auf den Boden tropfte. Da half uns endlich ein Soldat seines Zeichens Stellmacher, der die größten Löcher von innen mit Brettern vernagelte; die ebenfalls mit größter Mühe wieder behelfmäßig eingerichtete Kirchenheizung trocknete die Decke wieder aus, so daß größerer Schaden verhütet wurde. Fast täglich erneuerten sich die Fliegerangriffe, die allerdings meist auf Euskirchen gingen, uns aber kaum zu einer geregelten Tätigkeit kommen ließen.

Insbesondere der Kommunionunterricht litt sehr unter der beständigen Angst der Kinder. Am 22. Februar wurde ein Soldat in meinem Hausflur, mit dem ich noch vor 2 Minuten daselbst gesprochen hatte, durch einen Schuß in die Hüfte verwundet, wobei auch der Flurständer, ein Stock von mir und ein Schirm vom herrn Vikar durchschossen wurde. Die durchziehenden Soldaten boten im allgemeinen einen kläglichen Anblick: ohne Ausrüstung, hungernd, verlaust, meist ohne Transportmittel, die morschen Fahrzeuge und Kampfwagen vielfach schiebend und ziehend, sollten sie wieder zum Einsatz kommen, obwohl sie alle der verlorenen Sache total überdrüssig waren. Den traurigsten Anblick boten aber die Verwundeten, die sofern sie noch gehen konnten, mit Armschüssen oder den Arm in Schienen haltend, Splitter in den durchfrorenen Händen, in Marsch gesetzt wurden, sich ein Lazarett zu suchen.

Bis in die letzten Tage hatten wir nachts wenigstens Ruhe, da die schweren englischen Bomberverbände mit vielem Getöse wohl jeden Abend überflogen, aber hier nicht abwarfen. Jetzt hörten wir aber auch und gerade in der Nacht das Dröhnen der immer näher kommenden feindlichen Artillerie. Es war mit längerem Aufenthalt im Schutzkeller zu rechnen. Darum ließ ich in der Woche vom 18.-25. Februar den Keller des Pfarrhauses, in dem sich bis zu 30 Personen einfanden durch starke Unterstützung sichern, was mir auch gegen alle Erwartung gelang. Am 2. März forderte der Luftangriff noch ein Opfer in der Zivilbevölkerung. Zwei Bomben gingen an den Häusern Nelles-Hoffmann nieder, töteten die Tochter, während die schwerkranke Mutter, die am Morgen noch die Sterbesakramente empfangen hatte, unverletzt blieb. Die beiden Häuser wurden unbewohnbar, auch die Häuser Höfle und J.Schmitz wurden beschädigt.

Die Nächte von Sonntag auf Montag und von Montag auf Dienstag brachten wir alle im Keller zu, wo wir gemeinsam Morgen und Abendgebet beteten. Auch im Felsenkeller wurde der Rosenkranz gebetet. Wir hören die Front steht bei Obergartzem, Ülpenich, Frauenberg, Zülpich ist umgangen, man kämpft an der Kaserne in Euskirchen, Billig wird beschossen. Hier Überlegung zwischen Mortier, Benden, Dr. Kessel und mir, was geschehen soll beim Nahen der Amerikaner. Eine Hissung der weißen Flagge vom Kirchturm wird abgelehnt, da es die Beschießung von deutscher Seite veranlassen könnte, dagegen soll man am Ein- und Ausgang des Ortes Posten mit weißer Fahne bereithalten, sobald das Militär abgezogen ist. Wir hören Montag Nachmittag, die Amerikaner sind von Billig auf Stotzheim, wir fürchten sie möchten uns liegen lassen.

Am Dienstag morgen zelebriere ich eine stille Messe ohne Publikum. Nach derselben kommt Wirtz und meldet, Amerikanische Späher seien bei Kronenburg gewesen und hätten sich nach deutschen Soldaten und etwaigen Nazis im Dorfe erkundigt. Als die Frage verneint worden sei, hätten sie die Meldung weiter gegeben und gesagt, die Leute sollten aus den Kellern kommen. Allerdings war gerade zu der Zeit ein Rest Soldaten von Höfle abgezogen, hatten sich aber auf dem Münsterberg versteckt. 10 Minuten später trafen die ersten Panzer ein, in tadelloser Ausrüstung, scharf nach allen Richtungen äugend thronte die Bemannung, kräftige Gestalten im besten Mannesalter auf denselben. Sie bogen langsam um die Ecke auf Kirspenich zu, wo bald Maschinengewehrgeknatter hörbar wurde. Es waren die erwähnten Soldaten, die zwischen Hettinger und Kronenberg die nachfolgenden Panzer beschossen. Sie wurden gefangen in den Keller von Schlösser abgeliefert.

Bedrohlicher, ja verhängnisvoll für den Ort hätte eine Abteilung Soldaten werden können, die unter Führung eines Obersten, nachdem der Sonntag in der Villa Becker einquartierte General Schrimpf mit seinem Stabe abgezogen war, von dort aus den Ort verteidigen sollte. Auf die Meldung, daß man in Rheder bereits am Montag Abend beim Einmarsch der Amerikaner an den Häusern die weiße Fahne gezeigt hätte, wollte er 100 Kanonenschüsse dahin abgeben, hatte auch Kanonen an den Ausgängen von Weingarten aufführen lassen. Diese Absicht scheiterte jedoch an Mangel von Munition; die Kanonen wurden von Pferden abtransportiert. Nur eine Heldentat wurde vollbracht: die Brücke bei Spilles über den Mersbach wurde Montag Abend gesprengt, ganz zwecklos, wie sich herausstellte, aber dem Hause Jakob Spilles und sämtlichen benachbarten Dächern den Ruin brachte; sogar am Pfarrhaus gingen ½ Dutzend Fenster in Stücke. Auch sonst haben die letzten deutschen Truppen kein gutes Andenken hinterlassen, fast aus jedem Hause wurden besonders Fahrräder und Handwagen vermißt; das Haus Kessel (woengede: Brauhaus) wurde, während die Familie im Bunker war, von oben bis unten beraubt und beschmutzt.

Besonders unheilvoll wirkte sich auch die sinnlose Verteidigung in Rheder aus, wo die Einwohner die weiße Flagge aushingen, als eine kleine Gruppe Soldaten das Feuer auf die ankommenden Panzer eröffnete, bei dem 4 Amerikaner tot und 2 verwundet zum Opfer fielen. Daraufhin schossen die Panzer den Turm der Kapelle, wo übrigens ein Beobachtungsposten eingerichtet worden war in Fetzen; auch einige Häuser erlitten Schaden. Die Einwohner mußten daraufhin alle ihre Häuser verlassen und die Nacht in einer Scheune zubringen.

Das Ende des Naziregimes - Ein unveröffentlichter Bericht von Pfarrer Nikola Reinartz





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