Leben und Werk von Nikolaus Reinartz,
Pfarrer und Heimatforscher - Ein Projekt von Nikola-reinartz.de und Nikolaus-reinartz.de





Was die Heimatglocken sangen und singen
Zugleich ein Beitrag zur Kunde heimischen Volkstums im nördlichen Vorlande der Eifel
Von Joseph Lagier, Lehrer in Kreuz=Weingarten


In honore Sante Cruxcis
Anno Domini MCCCXLVIII

Zu Ehren des Hl. Kreuzes, im Jahre des Herrn 1348. So lesen wir auf der kleinsten Glocke der Pfarrkirche zu Kreuz-Weingarten. In feierlichem Geläute wird sie im Verein mit ihren beiden, auch aus Altväterzeit herstammenden Schwestern am Sonntag den 29. Mai 1927 ihren ehernen Mund öffnen und weithin in das alte Prümer St. Petertal ihre Freudenrufe erschallen lassen. Und wozu dieser frohjauchzende Gesang! Die altseßhaften christlichen Bewohner zu Füßen des Kalvarienberges wissen es zu deuten und zu sagen. Sie verstehen die Sprache ihrer metallenen Zunge. Sie ruft auf zur Feier des Hl. Kreuzes. Soll doch kommenden Sonntag die Stätte, wo der Priester täglich das unblutige Opfer des Neuen Bundes darbringt, durch Bischofsband in feierlichster Weise seiner hehren heiligen Bestimmung übergeben werden.

Doch oben in luftiger Höhe, entrückt allem Lärm des grauen Alltags, thront sie schon seit vielen Jahrhunderten. Könnte sie sprechen, erzählen! Was würde sie nicht alles zu plaudern haben! Eine mühsame Heimatforschung wäre wohl kaum noch notwendig. Geschlechter sah sie kommen und vergehen. Alle hat sie begleitet von der Wiege bis zum Grabe, sah frohe und von Schmerz gebeugte Menschen von ihrer Höhe herab, sah fromme Pilgerscharen von nah und fern heranwallen, um dem Hl. Kreuze ihre Huldigungen zu bezeigen, erlebte ruhige und vom Kriegslärm durchtobte Zeitläufe. Aber unbekümmert um alles irdische Geschehen, richtet sie ihren Blick gegen Himmel, treu ihrer Pflicht gedenkend, die in die Worte gekleidet ist:

Vivos voco: Lebende ruf' ich,
Murtuos plango: Tote beklag' ich,
Fulgaro trango: Blitze brech' ich.

Doch Sonntag wird sie die Lebenden zu einem Freudenfeste zusammenrufen. Es ist nicht der gewöhnliche Klang ihrer Stimme, der zu andächtigem Gebete einladet, sondern ein ganz feierlicher, im Munde des Volkes "beiern" genannt.

Versuchen wir kurz, uns den Inhalt, den Sinn dieses Wortes klar zu machen. "Beiern" liegt der Begriff "schlagen" zugrunde. Vergleiche hierzu das französ. baye = Bai – Tür usw., – Oeffnung, oder engl: bay = Bai Bucht, anschlagen.

Im Ndl. bedeutet "beier" soviel wie Glockenspiel. Es ist also eine besondere Art des Läutens, welche durch Anschlagen des Klöppels an die Glocken verursacht wird (n. Duden.) und als festliches Läuten vor hohen Festtagen, so Ostern, Pfingsten, Fronleichnam usw. dient, um insbesondere die Festesstimmung zu heben. Prof. A. Wrede bezeichnet es in seiner "Rheinischen Volkskunde" auch als Kirmesläuten. Auch hier diente es bis zur französischen Besatzungszeit um die Wende des vorletzten Jahrhunderts zum Einläuten des Kirchweihfestes und später, als selbiges untersagt wurde, des Kirchenpatronatsfestes, mit welchem die Kirmes verbunden wurde.

Über die Technik des "Beierns" plaudert Th. Nießen in: "Unsere Heimat im Wandel der Zeit" (Eusk. Volksbl Jahrg. 1924 S. 104).

Auch in übertragenem Sinne wird "beiern" gebraucht. Glaubt jemand, dauernd von einer Sache reden zu müssen, oder beklagt er sich immer in ein und derselben Weise, so "beiert" er. Auch in Zusammensetzungen, wie "ausbeiern" ist es in der rheinischen Mundart bekannt und heißt hier so viel wie "eine Bekanntmachung ausschellen", oder: Der "Beiermann beiert im Beier-(Glocken)haus".
Dem gemütstiefen rheinischen Volke ist es eigen, sein Empfinden, Fühlen und Denken sogar auf leblose Gegenstände zu übertragen. Alles gewinnt für sich Leben, sei es ein Berg, ein rauschender Wald, ein murmelndes Bächlein, oder sei es der Ruf der Vertreter der heimischen Vogelwelt. Es ist daher auch gar nicht verwunderlich, daß das fein empfindliche Volksgemüt auch die feierliche Glockensprache zu deuten sucht und ihren Tönen Wort und Bedeutung beimißt. "Die fast zauberhafte Einwirkung des Glockenschlages auf das menschliche Gemüt entlockt dem Volke wertvolle Eingeständnisse über Lust und Leid, Hoffnungen und Wünsche, auch über recht alltägliche Dinge". 1) "Beiersprüche" nennen wir die mehr oder weniger kurzen Reime, in denen es glaubt, den Ruf der Feierglocken vernommen zu haben.

Hören wir nun, was der Bewohner des nördlichen Eifelvorlandes aus dem Klang der Beierglocken heraushört. Ich möchte nun nicht regional vorgehen und die Beiersprüche nach Kirchdörfern geordnet einzeln bringen, sondern will versuchen, sie bezügl. ihres Inhaltes und in ihren Beziehungen zueinander zusammenzustellen.

Was die Glocken beiern

1) Die Feierglocken preisen den Kirchenpatron.
In Kirspenich verehrt man den hl. Bartholomäus. Die Beierglocke singt:
"Bartholomeies es ene gode Mann,
ä soreg och füe dä ärme Mann":

ebenso in Satzvey:
Pantaloon es ose Patron,
Et ös en geweß möt senge Hoß."

2) Die Glocke wird gepriesen.
Mit Stolz erzählt der Kerpener von seinen Glocken und zu Ostern beiern sie:
"Bim, bom, dei,
"Bim, bom, dei,
"Spetzche, Böllche rongk öm et Ei!"

3) Recht häufig ist festzustellen, daß der Beiermann (Küster, Offermann) gelobt wird, oder daß er in sonst eine Beziehung zu seiner Tätigkeit gebracht wird. Dies ist besonders der Fall, wenn er die Kunst zu "beiern" gut verstand, wie Hubert Becker genannt Huckebäetes, auch Wichterich. So sangen die Glocken in Bessenich:
"Et ös keene Mann däe beiern kann,
Als däe Weechterige Beiermann."

Im Volksmunde hieß er auch Kuck und in seinem Heimatdorfe mußte er sich einen kleinen Spott gefallen lassen:
"Bimmele, bimmele bom,
Dä Kuck es kromm."

Genannter Hub. B. kam auch zur Kirmes nach Kreuz-Weingarten und beierte dort, und man hörte es sehr gern, wenn er den Glocken Stimmen verlieh, Überhaupt habe ich festgestellt, daß er in den Ortschaften seiner engeren Heimat ein gern gesehener Beiermann war.



In Mechernich beierten die Glocken:
"Et ös keene Mann dä beiere kann,
Als dä Dottele Liemann."
(Leierkastendreher aus Dottel bei Mechernich.)

In Stotzheim an der Erft:
"Et jitt keene bessere Beieschmann,
Als Lompeningels Jan."

In Weilerswist besorgte früher ein Einwohner mit Namen "Grätes" nebst seinem Sohne Anton das Beiern. Man sang:
"Bille , bille, bom; bille, bille, bom,
Grätes senge Son hesch Anton."

Ein Mitbürger jüdischer Konfession schien nicht sehr beliebt zu sein und bald lautete der Reim, der auch heute noch gebräuchlich ist:
"Bille, bille, bom,
Jütt Schinn es kromm,
Grätes senge Son hesch Anton."

In Liblar (Oberdorf) war man um den Beiermann Hempel sehr besorgt:
"Hempel, häß du keene Stohl,
Setz dech op däe Stämpel
Lange Hempel."

Die Gymnicher hatten einen Spruch, der wenig christlich lautete:
"Bimmele-bom,
Kromme Bätes es kromm."

Zur Andacht stimmte auch nicht das Beiern, wenn es vom niederen Turme klang:
"Hengerm Böisch
Do höpp de Möisch."

In Kerpen schlug der Glöckner Bär die Glocken recht unsanft und dann beierten sie:
"Dä Bäe, dä bromp,
Dä Bäe, dä bromp,
Dä Bäe, dä Bäe, dä Bäe, dä Bäe dä bromp."

4) In den Beiersprüchen drückt das Landvolk manchmal seine Sorgen und Wünsche aus, obgleich selbige mitunter recht naiv oder materialistisch sind:

Großvernich:
"Sebbe, sebbe Säu, en eenem Stall,
On eene decke Pönn drop."

Ein Bauernbursche preist seine Schwester an zu Holzheim:
"Utsch, menge Fenge, menge Elleboge,
Kriß du meng Schwester, beß du net bedroge"

oder in Kalkar, wo er sich einen Schwager wünscht. Die Beierglocken verkünden in Frauenberg und Kalkar die Sorgen des Ehemannes um seine erkrankte Frau:
"Ninge, ninge, ning, meng Frau ös krank,
Ninge, ninge, ning, wat fählt ie dann,
Ninge, ninge, ning, e Schöppche Weng,
Ninge, ninge, ning, at kann net senn."

Die Not eines Dörflers, der zur Kirmeszeit recht knapp gestellt ist, beierten die Glocken in Lessenich bei Satzvey:
"Ke Bruut, keene Weck
On och keenen Fladem."

Die Floisdorfer sind sehr besorgt um die Pilger, welche zur Verehrung des hl. Pankratius ihrer Kirche zuwallen. Die Glocken rufen:
"Hat e och Kaffeebonne bei öch."

5) Mehr noch als heute waren früher die Bewohner benachbarter Dörfer sich nicht recht zugetan. Die Beierglocke mußte nun helfen, Neckreime zu verkünden.

Frauenberg:
"Bimmelebomm,
Schöve (Dürscheven) litt em Lauch,
Promme Oelsig."

In Euskirchen beierte der Küster Koch:

"Schöve (Dürscheven) litt em Lauch,

Dat beiert dä Kauch."



Die Besucher der Frühjahrskirmes (genannt Lämmgeskermes) zu Kreuz-Weingarten, wollten früher hören:
"Spinatejemöß on Geeßefleesch"
und heute beiern sie:
Em Wöngede Lauch han sie Morre gekauch,
De ganze Weich möt eene Knauch."

6) Die Glocken teilen dem Wanderer auch besondere Eigentümlichkeiten des Dorfes mit, wodurch selbiges mitunter berühmt wird. Früher standen um das Dorf Elsig herum viele Pflaumenbäume:
"Promme, Promme Oelsig"
oder
"Kiesche, Kiesche, Belleg" (Billig.).

Der Lückerather (bei Mechernich) Beierspruch singt ein Lob auf das gute Bier des Brauereibesitzers Pünder:
"Dä Bönde, dä Bönde,
Dä braut jot Bie."

Den Worten der Glocken mancher Heimatkirche haben wir gelauscht. Ihre ehernen Stimmen aber mögen weitersingen zum Preise desjenigen, zu dessen Lob und Ehre sie geschaffen sind. Und du christliches Volk der Pfarre Kreuz-Weingarten, und du Wanderer, der du vorbeiziehst, wenn heute die Glocken vom Kalvarienberge her erschallen, halte ein und richte deinen Blick hinauf zum hehren Zeichen unserer Erlösung, welches weithin über Berg und Tal aufragt und vernehme dann die Worte, die einst dem großen Kaiser Konstantin vor der Schlacht an der milvischen Brücke (312 n. Chr.) entgegenstrahlten: "In diesem Zeichen wirst du siegen!"


Anmerkung der Redaktion: Es ist Neuland, das der Verfasser dankenswerter Weise bearbeitet hat; merkwürdig, daß die Heimatforschung sich mit diesen Äußerungen lebendigen Volkstums noch wenig befaßt hat. Mögen die Ausführungen dazu helfen, daß die anmutige alte rheinische Sitte des Beierns in unserer Heimat als Kunst wieder mehr gepflegt werde.

Anmerkungen

  1. Wrede; Rhein. Volkskunde, I S. 78.





Sonderdruck: Euskirchener Volksblatt A.-G., Euskirchen, 1927, 24 S.
Veröffentlicht in: Unsere Heimat, Beilage zum Euskirchener Volksblatt, 4. Jahrgang, Freitag, den 27. Mai, Nr. 8 - 1927
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