Leben und Werk von Nikolaus Reinartz,
Pfarrer und Heimatforscher - Ein Projekt von Nikola-reinartz.de und Nikolaus-reinartz.de





Die bilderreiche Sprache unserer Altvorderen.

Wir begrüßen es als einen erfreulichen Beweis dafür, daß unser Streben, dem Volksblatt auch in der Kriegszeit seine Eigenart als Heimatzeitung zu erhalten, in den Kreisen unserer Freunde Verständnis und Zustimmung findet, wenn ein langjähriger Leser unseres Blattes uns einen alten Zeitungsausschnitt überreicht, den er bei der Speicher-Entrümpelung gefunden hat, und dabei bemerkt, diese heimatkundliche Betrachtung aus alter Zeit werde sicher unser besonderes Interesse finden. Diese Erwartung trift zu, denn der Ausschnitt, der allem Anschein nach aus dem Jahre 1906 stammt und der damaligen Euskirchener Volkszeitung entnommen ist, behandelt ein Thema, das uns zufällig augenblicklich beschäftigt hat, nämlich die bilderreiche Sprache unserer Altvordern. Er lautet:

„Im unterhaltenden Teile der Kölnischen Zeitung wurde vor kurzem daran erinnert, daß sich unsere Vorahnen manchmal der sonderbarsten Begriffe oder Vergleiche bedienten, um irgend ein Maß oder eine Größe auszudrücken. Als Beispiel war angeführt eine alte Urkunde aus dem Jahre 1572, welche die Einkünfte des Pfarrers der Gemeinde Pfetterhausen im Kanton Hirsingen, Ober-Elsaß, aufzählte. Dort hieß es, daß alle Einwohner, welche einen Garten von solcher Größe besitzen, „daß sie darin für vier Heller Petersilie säen können,“ verpflichtet seien, dem Pfarrer im Monat Mai einen jungen Hahn zu geben, „welcher über einen Besen springen kann“. – Darauf schreibt ein Leser der KZ, „daß auch alte Urkunden aus der Kölner Gegend an solchen eigenartigen Ausdrücken nicht gerade arm sind“. Als Beispiel wird ein Weistum (so nannte man im Mittelalter die urkundlichen, von Gemeinden oder Schöffenkollegien gegebenen Erklärungen über bestehendes Recht, insbesondere Gewohnheitsrecht in einzelnen Orten) unserer Nachbargemeinde Lommersum angeführt. In der aus dem 16. Jahrh. stammenden Urkunde ist über verschiedene Wege folgende Bestimmung getroffen: „Der (Weg) soll so weyt sein, dat Ihrer Zween eine Braut leiden und ihrer Vier einen Toden Leichnam dragen“. Die Zuschrift führt dann noch einen Fall von sonderbarer Ausdrucksweise bei Zeitbestimmungen in früheren Jahrhunderten an, in dem sie weiter mitteilt: So bestimmt das Nachbarbuch des Ortes Oeckmüllendorf (jetzt Siegburg-Mülldorf) im Siegkreise aus dem Jahre 1581 über die Dienstobliegenheiten des „Schützen“ (Feldhüters) u. a., daß der Schütz die Bannmeile alle Tage dreimal umgehen sollte, morgens, mittags und abends, und zwar sollte der erste Gang morgens so früh geschehen, „daß er einen Hund nicht vor einem Hahne auf einem viereckigen Morgen Landes erkennen könne“. Man ersieht hieraus, wie die alten Oeckenmüllendörfer den Mangel zuverlässiger Chronometer wettzumachen wußten und dabei auch noch den Schwankungen in dem Beginn des Tagesanbruchs mit peinlicher Genauigkeit Rechnung trugen. – Derartige Beispiele eigenartiger Begriffsbestimmungen dürften sich noch in zahlreichen alten Urkunden unserer Gegend finden, wenn sich nur jemand die Mühe machen wollte, z. B. die Hospitalsrechnungen und Ratsprotokolle von Münstereifel oder die Beschlüsse des Herrengedings in Euskirchen und dergleichen zu durchforschen. So wurde z. B. vom Herrengeding des Jahres 1656 in Euskirchen den Beklagten aufgegeben, „die geklagte Soedt (den alten Eselsgraben, der von der Hochstraße zur Stadtmühle führte) außzureinigen und zu erweitern, daß wie von Alters, ein Esell mit einem Malter Sack durchgehen möge.“ – Interessant in dieser Beziehung sind auch die Heiratstraktate aus jener Zeit, deren sich einige im Pfarr-Archiv von Frauenberg befinden. Es wird dort u. a. bei der Festsetzung der Heiratssteuer (Mitgift) bestimmt, daß die Eltern der Braut dieselbe zu kleiden haben, „nach Hausmanns Brauch und Manier“, ein andermal „wie solches Halfmanns Kindern gebührt“.

Die in dem vorstehenden Aufsatz gesammelten Beispiele der bilderreichen Sprache unserer Altvorderen lassen sich in reicher Fülle erweitern, wenn man die neueste Erscheinung aus dem Volksblatt-Verlag, das Werkchen von Pfarrer N. Reinartz - Kreuzweingarten: „Weistümer unserer Heimat“ zur Hand nimmt, in dem die Weistümer des Amts Hardt, von Kuchenheim, Stotzheim, Arloff (Kirspenich, Weingarten Rheder), das Hofweistum Weingarten und das Weistum der Herrschaft Zievel (Lessenich, Rißdorf) wiedergegeben werden. In der Einleitung sagt der Verfasser mit Recht: „Was den Weistümern noch einen besonderen Reiz verleiht, ist die beispielhafte, bildgesättigte Sprache, in der die Rechtsanschauungen des Volkes, ganz anders wie in den trockenen juristischen Paragraphen von heute, zum Ausdruck gelangen. Sie sind, wie der Altmeister Jakob Grimm in der Vorrede zum zweiten Bande seiner Weistümer so schön sagt, ein frischsprudelnder Quell, aus dem wir die Kunde deutscher Sprache, Mythologie und Sitte unglaublich bereichern können, sie gaben manchen Partien der Geschichte überhaupt erst Farbe und Wärme.“

Dafür einige Beispiele: So heißt es im Jülichschen Weistum von Kuchenheim, daß die „Splißlinge“, d. h. die kleinen Splisse jülichschen Eigentums, „die zu Kuchenheim, zu Stotzheim, Billig und Rutzheim (Roitzheim) gelegen sind, so hoch und weit bebaut sein sollen, daß ein fremder Mann darin reiten mag mit seinem Spies und seine Nachtrast drinnen haben, und über ihm einen Hahn, der ihm die Zeit vom Tag anzeigt, wann er reiten oder wandern will“. Der Zweck dieser merkwürdigen Bestimmung ist wohl, wie der Verfasser in einer Anmerkung sagt, im Interesse einer einfachen und geordneten Verwaltung die Versplissung der Haupthöfe durch die Auflage weitläufiger und kostspieliger Bebauung der Splißlinge zu hindern. Oder: im Weistum von Stotzheim wird bestimmt, daß „die Nachbarn von Stotzheim eine Gerechtigkeit und einen alten Gebrauch in dem Hardtbusch haben, nämlich den faulen Stock und den dürren Zopf, den sollen sie gebrauchen zu ihrer Not.“ Das sollte heißen, daß den Stotzheimern das Recht zustand, im Hardtwald dürre Stöcke zu roden und trockenes Holz zu suchen, ein Waldprivileg, das erst im Jahre 1852 von dem preußischen Fiskus abgelöst wurde. Ein Meisterstück bilderreicher Ausdrucksweise sind auch im Weistum des Münstereifeler Kapitelhofes zu Weingarten die Bestimmungen, die das Verhältnis zwischen dem Hofmann und dem Müller der dazu gehörenden Mühle regeln. Es ist nicht einfach, sie zu verstehen. Wenn man sie aber mehrmals aufmerksam durchliest, muß man staunen, wie jede Möglichkeit erwogen und geregelt wird. Diese Eigenart und der Bilderreichtum der Sprache geben der Lektüre der alten Weistümer einen eigenen Reiz. In dem Reinartzschen Werke wird er noch wesentlich bereichert durch die ortsgeschichtlichen Erläuterungen, die der Verfasser den einzelnen Abschnitten vorausschickt und die das Werkchen zu einem überaus wertvollen Beitrag zur heimatkundlichen Literatur stempeln.

(ohne Verfasserangabe)





Euskirchener Volksblatt, Nr. 60, 11.3.1940.


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