Leben und Werk von Nikolaus Reinartz,
Pfarrer und Heimatforscher - Ein Projekt von Nikola-reinartz.de und Nikolaus-reinartz.de









Stolzenburg und Dalbenden

„In dem romantischen Tale der oberen Urft zwischen Soetenich und Dalbenden fällt dem Wanderer vor allem die über dem Bergwald steil ansteigende Felsklippe der sagenumwobenen Stolzenburg ins Auge. Vor Zeiten, so weiß der Volksmund zu berichten, habe droben eine mächtige Burg gestanden, die durch eine schwebende Brücke mit dem auf der jenseitigen Talhöhe liegenden „Pielstein“ – als Steinfelder Gehöft „Bilinstein“ genannt 1272 – verbunden gewesen sei“. Dieser Felsen, der auch im Eifelführer kurz erwähnt wird, ist das Thema der ersten Veröffentlichung heimatkundlicher Art gewesen, die wir in der Euskirchener Lokalpresse feststellen konnten. In Nr. 93 des ersten Jahrganges des „Anzeiger für die Kreise Rheinbach und Euskirchen“ vom 20. November 1833 wurde folgende Schilderung gebracht:

„Die Stolzenburg bei Keldenich“

Wenn der Wanderer das fruchtbare Urfttal von Kall nach Dalbenden hinaufzieht, gewahrt er auf einer aus schauerlichem, dichtem Gebüsch hervorragenden Felsenkuppe halb verwittertes Mauerwerk und eingesunkene Räume, welche die Ueberreste einer Burg aus der Vorzeit sind, in der einst ein hartherziger Ritter zum Unglück der Umgegend und zum Schrecken der Reisenden hauste. Sein Lebenszweck war Saufen, Rauben und Plündern, und seine größte Freude bestand im Unterdrücken der hartbedrängten Anwohner, darum war er von jedermänniglich gehaßt und gefürchtet, und seine Raufgenossen selbst hegten einen geheimen Widerwillen gegen ihn und mochten es im Gemüte nicht billigen, daß er den armen Leuten unnötigen Druck in verwerflichem Uebermute aufbürdete, oder den Armen, der um eine Stückchen Brot bat, um sich und die Seinigen vom grausamen Hungertode zu retten, mit höhnischem Gelächter von seinem Hofe peitschen oder ihn gar von der Rotte klaffender Hunde hinaushetzen ließ. Der Stolzenburger – so hieß der harte Mann, denn bis zum 10. und 11. Jahrhundert hinauf pflegten die Ritter ihre Familiennamen von ihren Vesten herzuleiten – führte ein so arges Leben, daß mancher fromme Mann blutige Tränen darüber hätte weinen mögen. Von Geiz besessen und der daraus erspringenden Habsucht getrieben, sammelte er sich durch die himmelschreiendsten Mittel Schätze. Der Kaufherr zog darum auch mit Furcht und Zittern den einsamen Talweg längs dem Raubneste des geldgierigen Mannes hinan, und nicht selten war es, daß er aus seinem wohlversteckten Hinterhalt, worin er mit seinen Reisigen aufzulauern pflegte, wenn er Kunde von einer bevorstehenden Beute erhalten, verderbend hervorbrach, den vorüberziehenden Wanderer aufhob, ihm seine Habseligkeiten raubte, ihn elend und bloß dahinziehen ließ oder ihm gar das Leben nahm. Heimgekehrt von Raub und Mord, ergötzte er sich am Peinigen seiner Untertanen, denen das wahrlich traurige Los zuteil ward, daß sie auf Gottes schöner Erde nichts ihr eigen nennen konnten und ihr jämmerliches Leben von einem Winke des Zwingherrn abhing. Die Unschuld, die eheliche Treue waren in seinen Augen leerer Tand, und die Diener des göttlichen Wortes schützte nicht ihr frommes Leben, nicht ihr geistliches Gewand gegen seine ewigen Verfolgungen. Seine Hunde schätzte der Stolzenburger weit höher als Menschen, die nicht seines Gleichen waren, wähnend, daß sie nur darum da seien, damit er sich an ihren Qualen erfreuen möge. Nur wenige von den vielen Schaudertaten des Wüterichs hat die Sage uns aufbewahrt, doch reichen auch diese wenige hin, gerechten Abscheu gegen den Urheber derselben zu erwecken.

Der Stolzenburg gegenüber wohnte ein Ritter, der sich der Pielsteiner nannte; mit diesem wetteiferte er im Hohnsprechen gegen Gottheit und Menschheit. Er erbaute, wie man sich erzählt, eine Brücke über das Urfttal, um darüber mit Broten Kegel zu schieben, wenn der Arme um eine Gabe flehte. Seine Kinder ermunterte er, mit Wagen, die statt der Räder vermittels großer Brote fortrollten, über die Brücke zu fahren, indes die Kinder der Armen, ihre gierigen Blicke heißhungrig auf das im Uebermute zertretene Brot richtend, seufzend herumirrten, indes die Mutter ihren Zögling dahinsterben sah, weil es ihm an Nahrung gebrach. Der rauhe Mann ließ die abgehärmten Gestalten auspeitschen bis aufs Blut, wenn sie ein Stückchen Brot erhaschten und verschlangen.

So verlebte der stolze Ritter seine Tage, so hauste er auf seinem Felsenneste, von niemand geliebt, von allen verwünscht. So ging der Frevler, Untat auf Untat häufend, Gottes Strafgericht entgegen. Und es erreichte ihn, ehe sein kräftiges Alter sich zum Grabe neigte; ihm war nicht vergönnt, in sanften Schlummer des edlen Greises hinüberzuschwinden. Auf der Mitte seiner Laufbahn ward er von hinnen genommen, um Rechenschaft von seinen Taten abzulegen.

Eines Abend saß der Wüterich bei Sauf und Schmaus, hohnlachend über die Menschen, spottend der göttlichen Allmacht, siehe da, auf einmal schwirrte eine Rotte Nachtraben nahe an seinem Fenster vorbei, der Blick des schönen Silbermonds erlosch, eine schauerliche, tiefschwarze Dunkelheit verbreitete sich über die Gegend, die Menschen waren betäubt, die Tiere stöhnten aus Angst ob dem Gebrülle, das von allen Seiten immer stärker heranrollte. Der Stolzenburger entfärbte sich, denn er mochte wohl ahnen, daß das schreckliche Getöse in der Natur für ihn den unnatürlichen Grabgesang bedeute. Da erhob er sich, wollte beten, zum ersten Mal in seinem Leben beten. Da ertönte ein Krachen, daß die nahen Berggipfel ihre kahlen Häupter neigten – und die Stolzenburg war nicht mehr! Früh morgens, als die Bewohner sich vom Schrecken der übernatürlichen Ereignisses erholt hatten, eilten sie auf die Stolzenburg zu und fanden dort nur noch die Zinnen des Schlosses aus einem ungeheuren Schlund spärlich hervorragen. Die Burg war mit allem, was darauf gewesen war, in den Abgrund gesunken.

Den Ritter hat man später in verschiedenen trugvollen Gestalten herumschweben gesehen, am öfteren erscheint er als schwarzer Hund und muß in den tiefen Gängen seiner Burg seine Schätze bewahren, die zu erheben sogar in neuerer Zeit Menschen aus fremdem Lande gekommen, welche auch wieder mit der Erkenntnis abgezogen sind, daß Albernheit sie betört hatte.“

So lautet die grauenhafte Schilderung aus dem Jahre 1833, die in dem damaligen Schwulst der Sprache sich redlich bemüht hat, die bodenlose Verderbtheit des Ritters von der Stolzenburg in den schwärzesten Farben zu malen. Wir haben in ihrer Wiedergabe noch eine Anzahl stärkster Ausdrücke und Wiederholungen fortgelassen. Kein Wunder, daß die Schauermär die Phantasie der Bewohner der Gegend lebhaft beschäftigte! Sie gaben aber auch den neuzeitlichen Forschern Anlaß, dem Geheimnis der Stolzenburg auf den Grund zu kommen, wenigstens den Versuch zu machen, ihre Vergangenheit zu klären. Zuerst M. Adlung vor etwa 60 Jahren in einem Aufsatz in der „Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins“, der die vorgefundenen baulichen Reste als eine ehemalige Römerwarte bezeichnete. Diese irrige Deutung, die sich wahrscheinlich auf den in der Nähe vorbeiführenden Römerkanal stütze, hat Dr. Ernst Wackenroder in „Die Kunstdenkmäler des Kreises Schleiden“ richtiggestellt. Er widmet der oberhalb Soetenich im Gemeindegebiet Keldenich gelegenen Burgruine Stolzenburg eine eingehende Untersuchung und gibt dazu einen Grundriß mit Querprofil und Teilansicht der Ruine. Wackenroder stellt klar, daß es sich um eine mittelalterliche Höhenburg handelt, und vermutet in ihr den Sitz des im Jahre 1405 mit Johann von Soetenich genannten Geschlechtes.

Volle Klarheit bringt aber jetzt Pfarrer N. Reinartz - Kreuzweingarten in einen Aufsatz „Stolzenburg und Dalbenden“ im neuesten Hefte der Mitteilungen der Westdeutschen Gesellschaft für Familienkunde, den er mit den Sätzen einleitet, die wir der vorliegenden Arbeit vorangestellt haben und der er eine kurze Wiedergabe obiger Sage von dem wilden Leben des Ritters von der Stolzenburg und seinem schrecklichen Ende folgen läßt. Dem verdienten, unermüdlichen Forscher ist es gelungen, den Namen der Stolzenburg zum ersten Male für das Jahr 1643 in der literarischen Ueberlieferung festzustellen, und zwar in einem jener so aufschlußreichen Prozeßakten des Reichskammergerichts, der die Verbindung der Stolzenburg mit den bereits um 1250 nachgewiesenen Rittern von Dalbenden bei Urft klarstellt. In den erwähnten Reichskammergerichtsakten heißt es: „Daß Haus Dalbenden ein Stammhaus mit Wapfen und Schild und ein adliges Geschlecht gewesen, ist aus alten Missiven und Lehnbriefen genugsam erfindlich. Das alte Burghaus, da vor Zeiten der Inhaber des Guts gewohnt, hat Stolzenburg geheißen“. An anderer Stelle dort wird noch berichtet, daß Haus Dalbenden 1612 neu erbaut worden sei; aus den unweit noch vorhandenen „rudera“ (Ruinen) sei zu entnehmen, daß dort ein großes adliges Schloß vor Zeiten gestanden. „Wir haben also“, sagt Pfarrer Reinartz, „bei Stolzenburg-Dalbenden wie so oft den Uebergang von der unbequemen Höhenburg zu der ganz andere Entfaltungsmöglichkeiten bietenden Wasserburg im Tale, ohne daß wir bei Aufgabe der ersten an kriegerische oder elementare Zerstörung denken müßten. Nach allem zu schließen dürfte der Wechsel des Burgsitzes in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts erfolgt sein“. Der Autor fügt dann eine eingehende Chronik der Ritter von Dalbenden hinzu, die für die an der Geschichte der rheinischen Adelsgeschlechter Interessierten von großer Bedeutung ist.

Wir wissen also nun mit Sicherheit, welche Ritter vor 700 Jahren auf der Stolzenburg gehaust haben. Ob einer von ihnen ein solcher Ausbund von Schlechtigkeit gewesen ist, wie ihn die Sage darstellt, ob die Zerstörung der Burg als Strafgericht Gottes angesehen werden kann, wird wohl niemals aufgeklärt werden.





Euskirchener Volksblatt, Nr. 155, 5.7.1941.


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