Leben und Werk von Nikolaus Reinartz,
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Das Gnadenbild und die Gründungsgeschichte von Mariawald.
Wirklichkeit und keine Erdichtung.
Von Pfr. Nikola Reinartz, Kreuz=Weingarten.

Im Jahre 1934 erschien in den Heimatblättern, Beilage zur „Dürener Zeitung“, Nr. 19ff. eine Artikelserie über die Gründungsgeschichte Mariawalds mit dem Untertitel: Eine Untersuchung aus dem Grenzgebiet von Sage und Geschichte. In weitläufigen Ausführungen, die sich über 5 Nummern hinziehen, legt der Verfasser, Dr. Reinhold Heinen, hauptsächlich die Sonde der Kritik an die ihm nur in einer späteren Abschrift von 1730 aus dem Heimbacher Pfarrarchiv vorliegende „Kurtze Einfältige Beschreibung der Miraculösen Bildtnuß der schmertzhafen Mutter Mariä allhier“, von der Hand Michaels von Heimbach, Landvogt zu Nideggen. Seine Untersuchung endete mit dem Aufsehen erregenden Ergebnis, daß diese vom Jahre 1523 datierte, also den Ereignissen der Klostergründung bezw. der Einweihung der Kapelle 1480/81, sowie der Aufstellung des Gnadenbildes durch Heinrich Fluitter um 1450 zeitlich sehr nahestehende Quelle – der Schreiber war bei ihrer Abfassung bereits 62 Jahre alt, also 1460/61 geboren – als geschichtlich fast wertlos erklärt bezw. ihr nur der beschränkte Geschichtswert einer Sage zuerkannt wird. (S. 172) Sie sei eine spätere Konstruktion, um dem Gnadenbild und der Klostergründung einen frommen geheimnisvollen Hintergrund zu geben, eine bewußte Fälschung oder bestenfalls eine Niederschrift von Sagen, die sich im Volk gebildet hätten (S. 183), nicht einmal die Persönlichkeit des Verfassers sei geschichtlich erwiesen. (S. 153 u. mehrfach.)

Dem Kritiker ist ehrliche Absicht, Scharfsinn und eine taktvolle Behandlung der in seiner Darstellung ziemlich heiklen Angelegenheit nicht abzusprechen. Was ihn zu dem verkehrten Ergebnis und ganz verfehlten Schlüssen gebracht hat ist jedoch, wie auch die Entgegnung des verdienstvollen, leider zu früh verstorbenen Historikers der Abtei Mariawald, Pater Cyrillus Goerke, in Nr. 24 der Heimatblätter „Ist die Gündungsgeschichte Mariawalds wirklich eine Sage?“ hervorhebt, unzureichende Quellenkenntnis und, das sei hinzugefügt, mangelnde Vertrautheit mit kirchlichen Einrichtungen und Sprachgebrauch.

Wenn ich nach der Erwiderung Pater Goerkes nochmals auf die Gründungsgeschichte Mariawalds und den ihr zugrunde liegenden Bericht zurückkomme, so geschieht dies darum, weil mir inzwischen neues Material bekannt geworden ist, das den vollen historischen Wert „der kurzen einfältigen Beschreibung“ in helles Licht stellt.

Was zunächst die Persönlichkeit Michaels von Heimbach angeht, so wird diese geschichtlich erhärtet durch eine Schleidener Urkunde vom Jahre 1521, deren Photokopie in meinem Besitz ist. Es handelt sich um einen Kaufvertrag des Grafen Dietrich IV. und Gerhards von Dalbenden, an die „Michielen van Hembach Landschryver im Ambt van Nidechen“ sein Siegel zur Beglaubigung hing. Es ist der im Totenbuch von Mariawald genauer bezeichnete Michael Radermächer, einst Schreiber in Nideggen; „er schrieb den Anfang unserer wundertätigen Statue und der folgenden Ereignisse“. Wenn der Landschreiber im Amt Nideggen von 1521 sich 1523 Landvogt nennt, so ist das nicht weiter auffällig, da der Gerichtsschreiber in früheren Jahrhunderten vielfach juristische Kenntnisse besaß und darum oft den Vogt (Schultheiß) vertrat oder aber dessen Nachfolger wurde.

Beachtenswert ist in der berührten Schleidener Urkunde besonders der Umstand, daß der Landschreiber von Nideggen zu ihrer Beglaubigung hinzugezogen wird. So wird es uns auch nicht Wunder nehmen, daß er auch, wohl auf Veranlassung des Klosters, der Beurkundung der Vorgänge, die zu seiner Gründung geführt hatten, seine Feder leiht, nicht aktenmäßig in „zierlichem“ Kanzleistil, sondern in einer „einfältigen Beschreibung“, wie es zur Unterweisung der zahlreichen Scharen der fremden Pilger an der Gnadenstätte dienlich war. Daß er es aber mit der ganzen Gewissenhaftigkeit des Beamten tut, ergibt sich aus dem Schlußsatz der Beschreibung: „Urkund der wahrheid aller vor(be)schriebene punkten habe ich Michael (Radermächer) von Heimbach, Landt Vogtt zur Zeitt zu Nideggen diß vor(be)sch(riebene) alles gesehen und gehört und beleest und den tagh gelefft, daß nit mehr uff dießer platze gestanden hat, dan daß vor(be)sch(riebene) klein heußgen, da datt bildt erst eingestanden hatt und hab diß vor(be)sch(riebene) mit meiner eigenen handt geschrieben ufft Guderstagh nach der H. Pfingstagh Ao dausend fünfhundert drey und zwantzigh und bin alt geweßen zwey und sechßzigh Jahr und binnen dießer verschrieffen Zeitt ist diß Cloister uffgerichtet worden. Gott sey lob.“

Man sieht, unser Gewährsmann betont seine persönliche Kenntnis der Dinge, er führt wie es stets bei Zeugenverhören zu geschehen pflegt, sein Alter und auch das genaue Datum der Niederschrift an.

Der Bericht ist nun in zweifacher Abschrift auf uns gekommen. Die eine ist die später ins Bruderschaftsbuch von Heimbach um 1730 aufgenommene von Prior Brewers zwischen 1667/82 beglaubigte, die allein Dr. Heinen bei seinen Untersuchungen bekannt war. Die andere ist die in den Farragines Gelenianae im Kölner Stadtarchiv, Bd. XXX, S. 318 und 855 in lateinischer und deutscher Fassung aufgezeichnete Abschrift vom Jahre 163 . – die letzte Ziffer ist durch die Heftung verdeckt und unlesbar. – Diese – und das ist der durchschlagende Beweis für die Echtheit des Radermächer zugeschriebenen Berichtes – ist durch die Unterschrift des Dürener Guardians P. Joachim Rinchel beglaubigt als „ex pervetusta tabula nemoris b. virginis supra Heimbach extrahiert.'“ Wenn aber um 1630 die Vorlage, von der diese Abschrift genommen wurde, bereits als durch und durch alt bezeichnet wird, dann dürfen wir jene kühn bis auf die Lebzeit Radermächers zurückführen; ja wir werden nicht irre gehen, wenn wir in dieser sehr alten Tafel zu Mariawald, auf der nach der Gepflogenheit der Wallfahrtsorte die Geschichte der Gnadenstätte erzählt wurde, das Original von der Hand des Landschreibers erblicken. – Die beiden Abschriften stimmen im Wesentlichen überein. – Als Unterschied habe ich mir nur angemerkt, daß in der älteren Abschrift die Kommission, die das Tränen des Bildes untersuchen sollte, in das Hemd, nach der jüngeren in das Haupt gestochen hätte, in der Meinung „es wehre betrogh und wehre etwas dem Bildt in gethan, und daß sollte alßo herauß getawet haben“, was sich aber als irrig herausstellt. Sodann ist in der jüngeren Abschrift die Episode von der wenig glücklichen Betreuung des Gnadenbildes in der ersten Zeit durch zwei Minderbrüder ausgelassen.

Das Verhältnis der Axerschen Chronik von Mariawald, die Dr. Heinen (S. 149, 154) zum Vergleich heranzieht, ist natürlich nicht so, daß die „einfältige Beschreibung“ eine spätere Ausschmückung der Chronik wäre, noch auch beruhen beide Berichte auf einer gemeinsamen unbekannten Quelle, sondern Axer gibt meines Erachtens Radermächer aus der Erinnerung und stark gekürzt wieder, da es ihm hauptsächlich um die später eingeführte Erzbruderschaft zur schmerzhaften Mutter zu tun ist. Dabei sind ihm allerdings – er schrieb 1664 und fern von Mariawald – einige Irrtümer unterlaufen. Der Eremit Heinrich Fluitter trägt bei ihm auch den in der Geschichte von Mariawald so häufig genannten Namen Johann, und der von Axer mit den nämlichen Worten wie bei Radermächer erzählte Tod eines seiner Nachfolger wird nicht auf Paul Schilder, den er gar nicht nennt, sondern auf Anton Sattelmacher bezogen. Ganz wesentlich für unsere Frage ist aber der Umstand, daß er ebenso das Gnadenbild der Schmerzensmutter an den Anfang der Geschichte von Mariawald setzt.

Für die Echtheit der „kurzen Beschreibung“ spricht auch die Tatsache, daß sämtliche Angaben, soweit sie sich heute noch prüfen lassen, den zeitgenössischen Verfasser bekunden. Bereits Heinen hatte festgestellt, daß der in derselben erwähnte Burggraf von Heimbach, Ludwig von Schleiden, in amtlichen Dokumenten der Zeit erwähnt wird. Aber nicht allein diese hervorragende Persönlichkeit, sondern auch andere in dem Bericht genannte Personen lassen sich aktenmäßig feststellen. So wird im Heimbacher Lagerbuch vom Jahre 1507 im Düsseldorfer Staatsarchiv der in der Beschreibung als zeitiger Schultheiß bezeichnete Michael Otter erwähnt, selbst ein Mann aus dem gewöhnlichen Volk, Heyn up Roirportzen findet sich dort S. 6 und 11 wieder. Auffallend war die Bezeichnung „Außenblech“ von P. Goerke als Außenmark gedeutet, wo der Fluitter das Gnadenbild zuerst in ein „höltze stöckelgen“ gesetzt hatte. P. Maurus Bremendahl † 1751, sagt in seinem Gedicht über die Gründung Mariawalds, daß Fluitter das Bild zuerst in der Nähe des Amselbaches, ungefähr 30 Minuten von Mariawald entfernt, gestellt habe. Das gibt die richtige Lesart für Außenblech bei Gelenius „Tüffelblech“ genannt. Weder das eine noch das andere hat Radermächer geschrieben, er hat die zu seiner Zeit übliche Bezeichnung „Ansselblech“ – siehe Lagerbuch vom Jahre 1507 S. 8 – gleich Amselfeld gebraucht, die anscheinend später nicht einmal mehr verstanden wurde.

Wir haben Michael Radermacher als eine angesehene amtliche Persönlichkeit kennen gelernt, haben gesehen, wie er mit Verantwortungsbewußtsein an seine Aufgabe heran gegangen ist, haben festgestellt, daß seine Angaben, soweit wir sie heute prüfen können, zuverlässig sind, dürfen wir ihm dann den Glauben versagen, wenn wir sie einmal anderweitig nicht belegen können? Sicher nicht, zumal wir dann vor unlösbare Rätsel gestellt würden. Die Zeit von dem Tod Heinrich Fluitters, den wir frühestens 1450 ansetzen müssen – vergleiche seinen Ausspruch, die seien schon geboren, die ein schönes Münster stehen sehen werden – ist doch zu kurz für eine Sagenbildung. Ebensowenig ist denkbar, daß die ganze Vorgeschichte der Klostergründung eine Erfindung des bei Weltlich und Geistlich angesehenen Landschreibers gewesen sei. Wie er bei den an kranken, blinden, lahmen und elendigen Menschen geschehe als Wunderzeichen sich auf die allgemeine Kenntnis der Zeitgenossen beruft, so ist auch deren Voraussetzung, nach dem Bericht also das Gnadenbild und seine Geschichte, im Bewußtsein der Zeit in der Radermächer schrieb, sicher noch lebendig gewesen, da spätestens die Väter der damaligen Generation alles miterlebt hatten. Und wenn nicht die Vorgänge mit dem Gnadenbild und seine Verehrung die Ursache der späteren Klostergründung gewesen sein sollen, was ist dann der Grund gewesen, warum Pfarrer Duym oben in der Einöde des Kermeter Waldes eine Kapelle gebaut hat, für die er sein ganzes Vermögen verausgabte? Alles Widersprüche und Fragen, auf die man von Dr. Heinen keine befriedigende Antwort erhalten wird. Dagegen kann auch der Umstand nichts beweisen, auf den er sich beruft, daß in den Urkunden der Uebertragung der Kapelle an den Zisterzienserorden nicht von einem Gnadenbild, sondern allgemein von der Verehrung der Gottesmutter daselbst die Rede sei, da diese Verehrung deren Gnadenbild zur selbstverständlichen Voraussetzung hatte, das darum nicht eigens erwähnt zu werden brauchte. Alle marianischen Wallfahrtsorte haben ihren Ursprung entweder von dem Glauben an eine Erscheinung der Gottesmutter daselbst oder von einem wundertätigen Bilde derselben genommen. Bei Mariawald ist es sicher nicht anders gewesen. Da aber von einer Erscheinung der Gottesmutter nie etwas verlautet hat, muß das Gnadenbild der Ausgangspunkt der Wallfahrt gewesen sein. Wie bedeutend sie bereits in der Frühzeit gewesen ist, ersehen wir aus dem Rechnungsbuch des Priors Johann von Köln im Düsseldorfer Staatsarchiv, wo zum Jahr 1492 Prozession und Pilger aus Glehn, Bleibuir, Mechernich, Simmerath, Nöthen, Weyer, Zingsheim, Reifferscheid vermerkt sind. Auch von einem Besuch der Herzogin von Jülich bei U. L. Frau ist in genanntem Jahr die Rede. Gelegentlich einer Ausmalung der Nische des Gnadenbildes 1494 wird auch dieses selber ausdrücklich erwähnt „capsa Beatae Virginis“ – übrigens ein klarer Beweis dafür, wie im damaligen Sprachgebrauch, der jedoch vom Volke richtig verstanden wurde, der Heiligenname auf das Bild selber übertragen wurde, was Dr. Heinen bei der Deutung der Urkunden ganz übersehen hat. So z. B. in dem amtlichen Bericht von der Uebertragung der eben von Pfr. Duym errichteten Kapelle an die Zisterzienser vom Jahre 1483, wo es heißt, daß die Begeisterung zahlreicher Pilgerscharen schon längst – also doch schon vor der Erbauung einer Kapelle – es ausbreite, wie die Muttergottes, die Mutter der Barmherzigkeit, dort mildreich auf das Flehen herabschaue. Unzweifelhaft ist hier das Gnadenbild vorausgesetzt bezw. mit gemeint.

Was endlich die von Dr. Heinen mit allerhand Künsteleien versuchte Ableitung der Wallfahrtsgeschichte Mariawalds von Eberhardsklausen angeht, so geht diese Konstruktion gänzlich fehl angesichts der Tatsache, daß die Andacht zur Leidensmutter des Herrn im 15. Jahrhundert die Lieblingsandacht des rheinischen Volkes geworden ist. Es war die Zeit der wilden Hussitenkriege, wo so manche Mutter des Kölner Landes ihren im fernen Böhmen gefallenen Sohn beweinte. Daher stammen so viele der noch heute vom Volke verehrten Vesperbilder, damals ist manche noch heute blühende Wallfahrt entstanden. Vielfach verdanken dieselben ihren Ursprung der Andacht schlichtgläubiger Männer aus dem Volk, die, von Gott wunderbar begnadet, immer weitere Kreise gewann. Diese geschichtlichen Tatsachen sind das einzige Gemeinsame zwischen Mariawald und Eberhardsklausen.

Es hat eine Zeit gegeben, wo eine ungläubige Bibelkritik sich nicht genug darin tun konnte, die göttlichen Urkunden des Glaubens, die in oft kindlicher Sprache die erhabensten Wahrheiten der Offenbarung bergen, als späteres Machwerk darzulegen, bis Professor Harnack sein berühmtes Wort von der rückläufigen Bewegung zur Tradition sprach, und die hl. Schriften immer mehr von der Wissenschaft als ursprünglich anerkannt werden. So hat auch die von Dr. Heinen aufgerollte Frage das Gute gehabt, daß die Glaubwürdigkeit der Ueberlieferung von der Gründung von Mariawald nun in einem neuen hellen Lichte erscheint. Soviel steht nach den oben gegebenen Darlegungen fest: Der Bericht Radermächers ist echt und darf bezüglich der darin mitgeteilten Tatsachen als durchaus zuverlässig gelten. Nicht das Kloster hat sich das Gnadenbild geschaffen, sondern das Gnadenbild war die Ursache der Errichtung des Klosters Mariawald.





Heimatblätter, Beilage zur Dürener Zeitung, Nr. 13, S. 97–99, 25.6.1936.


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