Leben und Werk von Nikolaus Reinartz,
Pfarrer und Heimatforscher - Ein Projekt von Nikola-reinartz.de und Nikolaus-reinartz.de





Annalen 157, 1955: Kleinere Beiträge.
Zur Deutung einiger Orts- und Flurnamen des Kreises Schleiden.
Paul Melchers.
In memoriam Nikolaus Reinartz †





Mit Pfarrer Nikolaus Reinartz in Kreuzweingarten (†1954) ist ein Heimatforscher von hohen Graden dahingegangen, dem besonders der Kreis Schleiden wertvolle Aufhellung seiner Vergangenheit verdankt. Die nachstehenden Studien wollen seine ortsgeschichtlichen Arbeiten da und dort nach der Seite der Ortsnamen hin ergänzen und erweitern, wobei immer wieder festzustellen sein wird, wie wohltuend sich der Dahingegangene ferngehalten hat von dem hemmungslosen Dilettantismus, der sich gerade auf diesem heiklen Gebiet, auch im Rheinland, lange und bis in unsere Tage hinein tummeln durfte.

Nettersheim

Im Jahre 867 gibt König Lothar ein königliches Beneficium in der villa Nefresheim im Tausch an Otbert. 1) Ein Ort Nettersheym wird 893 im Prümer Güterverzeichnis erwähnt. 2) Spätere Formen lauten überwiegend Nechtersheim, die heutige Mundart etwa Neichteschem. 3) Albert Mooren setzt nach Beyers Vorgang 2) Nettersheym mit dem heutigen Nettersheim „bei Marmagen“ gleich, 4) Nefresheim dagegen mit Nechtersheim, dessen Lage er nicht angibt. Die Gleichsetzung der beiden Ortsnamen vollzieht er also nicht, so wenig wie Beyer Nefresheim lokalisiert. Dies geschieht erst durch Pfr. Reinartz. 5) Freilich ist die Berechtigung dieser Gleichsetzung nicht ohne weiteres einleuchtend, ihre Begründung sprachlich unzureichend; es sei daher gestattet, sie nachzuprüfen.

Die Identifikation von Nefresheim mit dem heutigen Nettersheim wird zunächst rein geographisch gestützt durch die Lage beider Orte im Eifelgau. 6)

Aber es fällt schwer, eine lautgeschichtlich vertretbare Entwicklung der alten Namensform zur heutigen zu finden. Das Prümer Urbar, nur ein knappes Menschenalter jünger als die Königsurkunde, bietet, von der bedeutungslosen Schreibung mit y abgesehen, schon die heutige schriftdeutsche Form. In seiner überlieferten Gestalt ist der Name Nefresheim eine alte crux der Forschung, und schon Ernst Förstemann fragte ratlos: „Was für ein Personenname mag in dem Ortsnamen Nefresheim liegen?“ 7)

In dieser Form kann der Name eben nicht richtig sein. Die zunächst einleuchtendste Besserung wäre eine Konjektur, die Quirin Esser vorschlug, 7a) nämlich der Ersatz des f durch ein t. Damit ergäbe sich ein Netresheim, das ohne weiteres zu der Prümer Form paßt und auch Förstemanns Deutungsvorschlag zuläßt, der es auf einen Personennamen Nathari zurückführen möchte. 8) Dagegen erhebt sich aber ein gewichtiger Einwand: Die mittelalterliche Form Nechtersheim wird dadurch ebensowenig erklärt wie die mundartliche Form Neichteschem. Gleichwohl müssen auch diese sprachgeschichtlich begründet werden. Essers Vorschlag ist also zu einfach, um stichfest zu sein. Ein t muß in dem ursprünglichen Namen vorkommen, das ch der jüngeren und der Mundartformen ebenfalls, hingegen muß das f verschwinden. Dieser Forderung entspricht eine anzusetzende Urform Neftresheim am ehesten, die in der Tauschurkunde nur falsch geschrieben erschiene und durch Einfügung eines t unschwer zu bessern wäre. Ein f vor Dentalen wechselt im Westen der rheinischen Mundarten schon früh mit ch; 9) damit ist die Forderung nach einer ch-haltigen Namenform erfüllt. Dieses ch fällt wiederum oft und schon früh vor t aus unter Ersatzdehnung des vorausgehenden Vokals, 10) und damit hat die ch-lose, modern anmutende Form von 893 Nettersheym neben der nur wenig ältern Neftresheim = Nechtresheim ihre Berechtigung. Ihr Doppel-t erklärt sich wohl aus dem Bestreben, die durch die Angleichung des h an das t entstandene lange Konsonanz auszudrücken, während bei der heutigen Schriftform an einen kurzen Vokal zu denken ist. Eine Form Neftresheim bzw. ein fast gleichzeitig überliefertes Nechtresheim (das sich aus Nettresheim erschließen läßt) muß also die Grundlage zur Deutung des Ortsnamens bilden.

Die einzige Schwierigkeit, die diese – lautgeschichtlich befriedigende – Form zunächst enthält, liegt auf der Seite der Etymologie, Pfr. Reinartz äußert die Vermutung: „Ich möchte ...die Erweichung des t in Neichtersheim, Nefresheim als wurzelhaft ansehen und den Namen in Beziehung zu dem dort in die Urft einmündenden Genfbach 11) (genefa) setzen; vgl. den Neffelsbach bei Zülpich.“ Diese Vermutung trägt im ersten Teil der Lautgeschichte nicht genügend Rechnung und verkennt im zweiten die Zusammensetzung des Flußnamens Genf. Der erwähnte Vorschlag Förstemanns, Nettersheim auf einen Personennamen Nath-hari zurückzuführen, übersieht, daß hier das cha ausgefallen, d. h. bei der Etymologie zu beachten ist. Die Form Nef(t)resheim stellt, da sich Nechtresheim aus ihr entwickeln ließe, die älteste einer Deutung zugrunde zu legende Form dar. Für ihr Bestimmungswort Nef(t)res ergibt sich aber kein brauchbares Etymon. Ein neft- anzunehmen (welches mit Verlust des Dentals aus germ. nefod- zu nhd. Neffe geworden ist, während Nichte aus ahd. nift den Dental bewahrt), das wäre wohl zu kühn; denn ein solches neft- wäre mit seinem bewahrten Dental ein hapax legomenon, d. h. ihm würde kaum Beweiskraft innewohnen. Für unseren Namen stellt aber auch die Form Nef(t)resheim selbst ein solches hapax legomenon dar; denn alle anderen Formen bieten ein ch oder dessen Ausfall, jedenfalls kein f, und das macht unsere Grundform etwas verdächtig. Den Schlüssel zur Lösung dieser Frage bietet die Bemerkung Franks, daß umgekehrt auch ft für etymologisch ht geschrieben wird. 12) Ein solcher Fall liegt wohl hier vor. Er stempelt die Form Nefresheim zum Versuch einer hyperkorrekten oder gar phonetischen Schreibung einer Namensform Nechtersheim durch einen königlichen Sekretär, der den Namen vorher jedenfalls nie gehört hatte, aber wußte, daß dem rheinischen cht anderswo ein ft entspreche. Daher erklärt sich das isolierte Auftreten der Form mit f in der Königsurkunde. Nun ist bei aller erstrebten Korrektheit dem Schreiber – denn unsicher war er ja doch! – das Mißgeschick unterlaufen, das t auszulassen, für dessen Einsetzung in die Form Nef(t)resheim wir die Notwendigkeit hier glauben nachgewiesen zu haben, um den Vorläufer für die Form Nechtersheim zu erhalten.

Und für Nechtersheim findet sich auch eine befriedigende Ableitungsmöglichkeit, nämlich von dem bei Förstemann für das 8. Jahrhundert belegten Männernamen Nathere (nath-hari), den er auch in dem Ortsnamen Natherstide des 10. Jahrhunderts, einem wohl mitteldt. Nechterstedt oder ähnlich, wiederfindet. 13)

Von ganz anderer Seite her läßt sich also die Gleichsetzung der Ortsnamen Nefresheim und Nettersheim (Nechtersheim) durch Pfr. Reinartz als berechtigt erweisen.

Dottel, Düttling, Denrath

Im Band 129 dieser Zeitschrift veröffentlichte Pfarrer Reinartz S. 51 ff. eine „Orts- und Flurnamenkunde vom südlichen Bleiberg“. Dort erwähnt er das alte Pfarrdorf Dottel, 1065 villa Dutlo (Lac. Archiv II, 50 ff.) und das nordwestlich davon gelegene Düttling, 1181 Dudlingin, 1183 Dudelinge (Lac. I 478, 487), 1213 Dudillingen (Lac. III 997). 14) Da die Gegend zahlreiche Römerspuren aufweist, beide Orte überdies in der Nähe römischer Handelsstraßen gelegen sind, glaubt Reinartz den Namen Dutlo aus dem Lateinischen deuten zu müssen, „nachdem in Aachen und Köln Weihesteine an die tutela loci gefunden wurden“.

Man wird sich den Gründen, die Reinartz zur weiteren Stützung der Identifikation von villa Dutlo = Dottel anführt (die von anderen nur als wahrscheinlich angenommen wird), wohl anschließen dürfen. Die Form Dutlo ist aber unmöglich auf ein lat. tutela loci zurückzuführen. Die akrostichische Mode der Namensschöpfung aus Anfangsbuchstaben und Silbentrümmern ist jung. Die wahrscheinlichere Deutung wird durch die von Reinartz selbst vermutete Verwandtschaft mit dem jünger überlieferten Düttling nahegelegt.

Dutlo wie Dudlingin enthalten nach meiner Ansicht als ersten Bestandteil die Kurzform eines germanischen Personennamens Dudo, der als namensbildendes Element auch im weiteren Rheinland zu finden ist, z. B. für Dudweiler, Kr. Saarbrücken; Dittlingen Kr. Saarburg (1462: Dutelingen 15) ); Düdelingen Luxemburg, Kanton Esch (zweimal); in movierten, also wohl jüngeren Formen auch weit darüber hinaus, z. B. Dutenhofen, Kr. Wetzlar, Dudenroth, Kr. St. Goar; auch Kr. Hörde, Reg.-Bez. Arnsberg; Dudenrode, Kr. Witzenhausen, Reg.-Bez. Kassel; Dudensen (= -husen), Reg.-Bez. Hannover; Dudenbüttel, Kr. Stade.

Dutlo würde sich danach erklären als „das Gehölz des Dudo“, Dudlingin als die „Siedlung der Leute Dudos“, ursprünglich „ze den Dudlingin“. Der Einwand, daß Dottel wohl auf ein Dudo, Dudlingin aber auf ein Dudilo zurückgehen müsse, ist nicht stichhaltig. Beide Namen können durchaus dieselbe Person bezeichnen. Eine Form Dudilo anzunehmen besteht übrigens durchaus keine Notwendigkeit, wenn man als Abteilungssuffix nicht -ing, sondern -ling ansetzt, die beide schon früh füreinander gesetzt werden und gleichbedeutend sind. 16) Interessant, aber nicht ungewöhnlich ist, daß die moderne Form Düttling nicht mehr den Plural der alten Formen erkennen läßt, ja, daß dort sogar eine Flur „auf dem Düttling“ besteht, die von Reinartz mehrfach erwähnt wird.

Die beiden Siedlungen, die nur wenige Kilometer voneinanderliegen, tragen offenbar den Namen ihres gemeinsamen Gründers. Man darf vermuten, daß jener Dudo zunächst für sich und seine Angehörigen, die Dudelinge, eine Siedlung gegründet hat, die heute Düttling heißt, und erst von da aus eine weitere, die nach seinem Waldbesitz Dutloh benannt wurde. Dank ihrer besonders günstigen Lage auf aussichtsreicher Höhe hat sich diese dann rascher entwickelt zu einer villa, hat um 1316 eine Kapelle bekommen, 17) eine Kirche, deren Turm vor dem 15. Jahrhundert erbaut wurde, die frühzeitig als Pfarrkirche bezeugt ist, 18) während Düttling heute noch nicht mehr ist als ein Weiler. So erklärt es sich auch, daß Dottel hundert Jahre früher erwähnt wird als Düttling, das nur eine (inzwischen abgebrochene) Kapelle vom Baujahr 1789 besaß. 19)

In diesem Zusammenhang können wir kurz auf den Namen dieser bei Mechernich gelegenen Siedlung eingehen, den Reinartz 20) gleichsetzt mit dem freien Hof Dydenrode, den 1322 Rabod von Rode Luxemburg zu Lehen aufträgt. Reinartz leitet diesen Namen nach Förstemanns Vorschlag von thiudô = Volk ab und deutet ihn als „Volksrodung“ im Sinne einer Rodung von Deutschen im Gegensatz zu Wohnplätzen eingewanderter Wallonen. Daher sei auch, so meint er, der Umweg über die Ableitung von einem Personennamen gleichen Stammes abzulehnen.

Hier setzt unser Zweifel ein. Das Wort Diet < thiudô wird nicht schwach gebeugt, es würde in der Zusammensetzung unflektiert neben das Grundwort gesetzt werden; man vergleiche den Personennamen Dietrich, die mehrfachen Ortsnamen Detmold, die Bonner Pfarre Dietkirchen. Hier handelt es sich aber offenbar um ein schwachflektiertes Bestimmungswort, dessen charakteristisches -n- man in der Kompositionsfuge findet. Das legt den Gedanken an die Kurzform eines mit dem Stamm Diet- zusammengesetzten Personennamens nahe; denn solche Kurzformen zeigen das -n im Obliquus, wie Otten, Heinen, Thelen. Dydenrode ist also mit großer Wahrscheinlichkeit doch aus der Kurzform eines Personennamens Diede o. ä. abzuleiten, auch wenn für die siedlungsgeschichtliche These von Reinartz mehr aus der von ihm befürworteten Erklärung herauskäme.

Ist dieser namengebende Dydo, oder wie er nun heißen mag, derselbe wie jener Dudo, dessen Name in Dottel oder Düttling steckt? Doch wohl nicht. Denn es hätte kein Grund vorgelegen, für die Benennung dieser Rodung seinen Namen in einer anderen, nämlich flektierten Form zu gebrauchen als im Namen des Gehölzes (lô), wo er unflektiert erscheint. Hier ist der starke zeitliche Unterschied in den urkundlichen Erwähnungen wohl begründet: Dydenrode ist der Entstehung nach eben weit jünger als Dutlo oder „bei den Dudlingen“. Vielleicht ließe sich sogar noch durch einen glücklichen archivalischen Fund aus dem Sippenkreis des 1322 als bisheriger Eigentümer genannten Rabodo von Rode jener Dietrich oder Dietmar ermitteln, nach dessen Namenskurzform der Hof Denrath benannt worden war.

In Picks Monatsschrift 4, 180, 382 und 5, 648 werden die genannten Ortsnamen zurückgeführt auf „mhd. tute, ahd. tutâ, nach Weigand urspr. der tut(t)o, dutto, dem nhd. die Zitze und dial. die Tutte entspricht. Das Wort bedeutet die Saugwarze und als pars pro toto die weibliche Brust“. Davon in übertragener Bedeutung „Bodenerhebung“, für welche der Einsender (Dr. Fuß, Bedburg) Parallelerscheinungen aus andern Sprachen beibringt. Das Rheinische Wörterbuch bringt allerdings weder in seinem gedruckten Teil noch, soweit ich weiß, in seinem Archiv einen Beleg dafür, daß das Wort Dutte, Tutte o. ä. im Rheinland in der angegebenen Bedeutung gebraucht worden ist, so daß auch dieser Herleitungsversuch nicht geeignet erscheint, die von uns vorgeschlagene Etymologie zu erschüttern.

Schließlich wäre noch W. Kaspers zu berichtigen, der in seinen „Untersuchungen zu den rheinischen -ingen-Orten 21) die von Reinartz richtig verwendeten Nennungen in den Urkunden bei Lac. I 478, 487 als Belege für Dittlingen, Krs. Saarburg, heranzieht, da doch in beiden das in gleichem Atemzug genannte Vlatten mit aller erwünschten Deutlichkeit auf den Kreis Schleiden weist.

Genfbach, Neffelsbach

Wie wir oben sahen, will Nik. Reinartz in seiner Arbeit über die Krümmel von Nechtersheim (vgl. Anm. 5) den Namen Nettersheim in seiner Form Nefresheim von 867 in Beziehung setzen zu dem dort in die Urft einmündenden Genfbach, dessen Namen er in gen-nefa zerlegt. Er vergleicht damit den bei Zülpich fließenden Neffelsbach. Wir glauben dargetan zu haben, daß der Name Nettersheim nicht von diesem Gewässernamen aus erklärt werden kann, so richtig der Gedanke an sich ist, in Ortsnamen alte Gewässerbezeichnungen aufzuspüren.

Der Name des Genfbachs bietet keine Wurzel nef, wie sie Reinartz zur Erklärung verwenden möchte. Es geht nicht an, den Namen, wie er es tut, in gen-nefa aufzuteilen. Die Deutung der ersten Hälfte gen- läßt Reinartz überhaupt offen – ihm konnte es ja darauf auch nicht ankommen. Die Abtrennung der Bestandteile muß auf andere Weise geschehen. Wir haben nämlich auf niederfränkischem Sprachgebiet, wo die Tenues unverschoben bleiben, die sehr aufschlußreiche Parallele Gennep zu Genf, z. B. Genneperhof, Kr. Kempen-Krefeld; 22) Gennep, Prov. Holl. Limburg; Gennep bei Eindhoven, Prov. Nordbrabant; Gennep bei Zeelhem, Prov. Belg. Limburg; Guemps, fläm. Gennep bei Audruicq, Arr. St. Omer, Pas-de-Calais. 23)

Abzutrennen ist also, da es sich um einen Namen mit der zum Suffix gewordenen Gewässerbezeichnung -apa handelt, Gen-f bzw. Gen-apa, wobei das gen- nach H. Dittmaier 24) ein nichtgermanisches Wort mit der Bedeutung „Knie“ darstellt. Infolgedessen ist es auch nicht möglich, den Neffelsbach 25) bei Zülpich mit dem vermuteten Stamm Nef- von Nefresheim und Gen-nefa zu vergleichen. Der Neffelsbach, auch die Neffel genannt, mündet unterhalb Kerpen in die Erft. Der Vokal der Silbe nef- ist ein Umlaut -e, entstanden aus einer anzusetzenden Grundform naf-ila. Der Stamm naf- geht zurück auf nab, nav (idg. nabh, auch snabh), den von rheinischen Flußnamen vor allem die Nahe enthält (so richtig M. Müller; Mürkens 26) denkt an einen germ. Stamm nab = anschwellen, ausbiegen); das Suffix ist germanisch und bedeutet meist eine Verkleinerung. Der Name würde danach einen kleinen Wasserlauf bedeuten, und das reicht auch völlig aus; denn wie viele Wasserläufe heißen z. B. nur „die Beeke“ o. ä.! Wir haben es also nicht nötig, mit Mürkens ein Nab-lava anzunehmen, von dem recht unvermutet das -ava abfällt (warum das l- nicht mit?), damit über Nabila, Navila die umgelautete Form Neffel entstehen kann. Das Rhein. Flurnamenarchiv verzeichnet den Namen Neffelbach für folgende Ortschaften des Kreises Düren: Sievernich, Gladbach, Füssenich, Hochkirchen, Juntersdorf, Embken, Lüxheim, Diesternich, Nörvenich; ferner den Flurnamen Neffelsbendchen für Neukirchen, Kr. Euskirchen (früher Kr. Rheinbach). Auf die gleiche Grundform läßt sich vielleicht zurückführen De Nevel, 1449 ter Neuell, „landgoed te Driel“ (Ostbrabant), 27) ein Name, der sonach eine Besitzung „an der Nevel“ bedeutet.

Den reinen Stamm naf ohne das Suffix -ila finden wir (wiederum nach den Sammlungen des Flurnamenarchivs) mehrfach in den Kreisen Ahrweiler, Bernkastel, Koblenz (Waldname), Kochem, Mayen, Trier, Zell in der Form „in (an, hinter) der Naf (Naaf)“, auch rechtsrheinisch im Amte Overath in verschiedenen Gemarkungen als „Bicksnaf, Blindenaf, Hentches Naf, kleine Naaf, in (oben in, ober) der Naafwies“. Derselbe Stamm liegt dem Namen der Naf zugrunde, die bei Lohmar in die Agger mündet. Grimms Weistümer (Bd. III 26) überliefern für Seelscheid (Siegkreis) gleichfalls den Bachnamen „in der Naaf“ für 1445. Auch den Namen des Baches, nach welchem das bergische Neviges heißt, könnte man hierherziehen. Die alte Form Nevigisa deutet darauf hin, daß ein nat-i-gisa anzusetzen 28) ist, wobei das Bestimmungswort vor dem Fugenvokal -i-, der den Umlaut bewirkt, wiederum unser für die Neffel angesetzter Stamm ist. Der Name der Neffel läßt sich sonach aus einem in den rheinischen Mundarten weitverbreiteten Wortstamm ableiten.

Geschiefel

In seiner „Orts- und Flurnamenkunde vom südlichen Bleiberg“ (vgl. S. 176) erwähnt Pfarrer Reinartz in den Anm. 37 unter den Flurnamen, die auf den Bergbau hinweisen, „das schwer zu deutende ,Geschiefel', gesprochen ,Gieschövel', dessen zweiter Teil sicher das bekannte Wort für Abraum enthält“. Zunächst gestehe ich offen, daß mir trotz langer Beschäftigung mit rheinischen Namen das Wort, das Reinartz meint, nicht zu Ohren oder Augen gekommen ist, also das Epitheton „bekannt“ nicht unbedingt verdient. Aber zugegeben ,Reinartz' Vermutung stimme für den zweiten Teil des Wortes, wie deutet er den ersten? Denn daß dieser nicht nur aus der Vorsilbe Ge- (wie in Ge-birge, Ge-wässer) bestehen kann, zeigt die von Reinartz beigesetzte Aussprachebezeichnung; freilich versäumt er, die Betonung des Namens ausdrücklich anzugeben, es kann aber keinem Zweifel unterliegen, daß sie auf der ersten langen Silbe ge liegt. Das hat auch der Geometer gewußt und anzudeuten versucht; denn dem i der Mundart müßte sprachgeschichtlich ein e entsprechen. Es handelt sich bei der amtlichen Form Geschiefel deutlich um den Versuch einer Rücklautung ins Hochdeutsche. Freilich sieht die richtige hd. Form doch noch anders aus.

Diesem Flurnamen liegt eben auch etwas ganz anderes zugrunde als „das bekannte Wort für Abraum“, nämlich der Name Gissübel, über den wir seit einiger Zeit bestens unterrichtet sind. 29) Wallners Deutung des Namens als „Ort, der zeitweilig begossen, überflutet wird“, ist wohl einhellig gebilligt worden. Eine solche Stelle ist dort, wo Bergbau getrieben wird, nichts Ungewöhnliches – man denke an einen ersoffenen Schacht o. ä. Die nach Reinartz in der Nähe gelegene Bezeichnung Wassergall bedeutet ja ganz Entsprechendes, nämlich eine „Stelle im Boden, die dauernd feucht, sumpfig ist, ungewöhnlich hohen Grundwasserstand hat.“ 30) Sachlich würde also das Auftreten dieses Namens am Bleiberg keine Schwierigkeiten bieten. Doch könnten sich Bedenken sprachgeographischer und lautgeschichtlicher Art der Heranziehung des Wortes Gissübel entgegenstellen, die es zu entkräften gilt.

Das Wort hat ja nach Wallner seine Heimat in der südlichen Häflte des hochdeutschen Sprachgebietes und reicht wohl nicht an den niederdeutschen Sprachraum heran. Ein Beleg in der Schleidener Gegend wäre jedenfalls landauf, landab der nördlichste. Und ferner: der Vokal der Tonsilbe ist ein i, nicht das e, das die Mundart fordert. Danach wäre also der Name ein Fremdling in der dortigen Gegend. Und das mag er auch wohl sein, wenn er mitgebracht wurde als terminus technicus von den eingewanderten welschen Bergleuten, deren siedlungsgeschichtliche Spuren Reinartz ja in seiner Arbeit aufzudecken bestrebt ist, von solchen nämlich, die ihn kennengelernt haben mögen in Lothringen, an der deutsch-welschen Sprachgrenze, bis zu der Wallner diesen Namen nachweisen kann. Ein Fremdwort aber richtet sich, zumal wenn es in jüngerer Zeit übernommen wird, nicht in allem nach den mundartlichen Lautregeln. So erklärt sich, daß die Mundart, die das scharfe s zu sch (vgl. hd. heißen –heesche!), das ursprüngliche ü zu ö verändert hat, das i als den wichtigsten, nämlich akzenttragenden Laut erhalten, ja gedehnt hat. Darüber hinaus wird der Name Gissübel in seiner Einsamkeit, ja durch sie, zu einer Stütze für die von Pfarrer Reinartz vertretene These von der starken Durchsetzung der Landschaft des Bleibergs mit welschen Bergleuten.

Kleve

Paul Melchers





Anmerkungen

1)

MRUB I (H. Beyer, Urkundenbuch zur Geschichte d. mittelrhein. Territorien, 1806) S. 113.

2)

MRUB I S. 177.

3)

Daneben auch Nädeschem; freundliche Auskunft verdanke ich Herrn Hauptlehrer Laar, Nettersheim.

4)

Binterim und Mooren, Die Erzdiözese Köln im Mittelalter, neubearbeitet von A. Mooren, 1892, S. 373.

5)

Die Krümmel von Nechtersheim, in dieser Zschr. 139, 1941, S. 1–75.

6)

Mooren a. a. O.

7)

Altdt. Namenbuch II 2) (Personennamen) Sp. 1155.

7a)

Förstemann II 3) 375.

8)

Förstemann II 2) 1154.

9)

Es sei auf den angekündigten Beitrag von R. Schützeichel in der Festnummer der Rh. Vierteljahrsblätter für Adolf Bach verwiesen: Der Lautwandel von ft zu cht am Mittelrhein.

10)

J. Frank, Altfränk. Grammatik, 1909 § 113.

11)

Hierzu vgl. weiter unten S. 178 unter Genfbach.

12)

Frank a. a. O. § 82, S. 100.

13)

Förstemann a. a. O. II 2 Sp. 1147.

14)

Die Nachweisungen der Erstbelege bei Reinartz a. a. O. S. 58 in den Anmerkungen.

15)

Hardt, Luxemb. Weistümer 599.

16)

Vgl. A. Bach, Die deutschen Personennamen, 2. Aufl. 1952, § 128.

17)

Duttele capella, im Liber Valoris, Fabricius, Erl. zum geschichtl. Atlas d. Rheinprov. V, 1, 1909, S. 155, 229.

18)

E. Wackenroder, Die Kunstdenkmäler des Kreises Schleiden, 1932, S. 109.

19)

Wackenroder a. a. O. S. 189.

20)

Ann. d. Hist. Ver. f. d. Ndrhn., 129, 1936, S. 62.

21)

Zeitschr. f. Ortsnamenforschung III, 90 ff.

22)

Schady, Ortschafts-Verzeichniß für die Rheinprovinz, 1851, S. 105.

23)

H. Dittmaier, Das -apa-Problem., phil. Diss. Bonn 1944, Maschinenschr. § 76.

24)

a. a. O.

25)

Die Generalstabskarte bietet die Form Neffelbach ohne das häufig in der Kompositionsfuge vorkommende unorganische -s-.

26)

M. Müller, Die Ortsnamen im Regierungsbezirk Trier I, Jahresbericht d. Ges. f. nützl. Forschungen, 1900/1905, s. 50; G. Mürkens, Orts- und Bachnamen des Kreises Euskirchen. Prgr. Euskirchen 1913.

27)

Nomina Geographica Neerlandica III 196.

28)

Näheres in der im Druck befindlichen „Bergischen Siedlungsgeschichte“ von Heinrich Dittmaier. – Sicher anders zu deuten sind die Fluß- und Ortsnamen Neef im Moseltal, worauf hier nur hingewiesen sei.

29)

E. Wallner, Gissübel und Ramsau (Die Flurnamen Bayerns. Reihe IX, Untersuchungen Heft 2), 1940. Da mein Exemplar des Heftes im Krieg in Verlust geraten ist, zitiere ich nach der ausführlichen Besprechung J. Scheidls in der Zschr. f. Namenforschung XVIII, S. 90 ff.

30)

Rh. Flurnamenarchiv, Bonn.





Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein, Heft 157, 1955, S. 174–180.


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